Nove Colli 2015: Il Applblühdeweg mi basta … l´inferno di acqua

Alex Emmler und Uwe Täubert beim Nove Colli in Cesenatico

Januar 2015:

Die Sonne brennt. Schweißgebadet quälen wir uns die steilen Anstiege hinauf. Rampen von 20% und mehr sind keine Seltenheit. Wir sind auf Gran Canaria, um uns auf die anstehende Saison vorzubereiten. Das Saisonziel „Nove Colli“ fest im Blick.


März/April 2015:

Eigentlich die typische Zeit für ein Trainingslager. Eine Projekthochphase im Büro und die unter den Kollegen abgestimmte Urlaubsplanung bieten hierfür jedoch keine Möglichkeit. Egal, der Odenwald ist ein Top-Trainingsrevier. Aber wo ist bitteschön der Frühling an der Bergstraße geblieben? Die kalten Temperaturen und die heftigen Regenfälle zwingen mich immer wieder zu alternativen Trainingseinheiten. Nicht gerade motivationsfördernd, aber ich bleibe dennoch am Ball.


Der Renntermin rückt immer näher. Panik macht sich breit. Das Wetter lässt einfach keine langen Einheiten auf dem Rad zu. Daher entschließe ich mich, den Fokus auf´s Bergintervalltraining zu legen. Aufgrund der nassen und verdreckten Straßen schnappe ich mir mein Trainingsrad und ab geht´s in Richtung „Applblühdeweg“. Immer wieder kurble ich den 1,5 km langen Anstieg hinauf; mal Kette rechts mit Druck auf dem Pedal und mal im Nähmaschinenstil. 7, 8, 9, 10 Mal hintereinander. Scheiß auf´s Trainingslager! Il Applblühdeweg mi basta schießt es mir in Anlehnung an das legendäre Pantani-Zitat durch den Kopf. Gebetsmühlenartig wiederhole ich den Spruch immer wieder. Er wirkt wie ein Motivationsmotor und hievt mich auch bei widrigen Bedingungen auf den Sattel.


22. Mai 2015 (Anreise):

Das Auto ist bereits gepackt. Um 5 Uhr machen wir uns auf den Weg in Richtung Cesenatico. Die Fahrt läuft wider Erwarten ohne nennenswerte Verkehrsstörungen. Kurz hinter Mailand werden jedoch die Wolken dichter und es beginnt zu regnen. Die Wolken werden zunehmend dunkler und der Regen heftiger. Dennoch zuversichtlich steuern wir die Startnummernausgabe an, um unser Startpaket und die Unterlagen abzuholen. Auf den Wegen staut sich das Wasser. Pfützen, in denen Dackel ihr Seepferdchen machen könnten. Mit nassen Füßen kommen wir im Hotel an. Hungrig und müde von der Fahrt schlingen wir schnell das Abendessen runter und hauen uns aufs Ohr.


23. Mai 2015:

Unsere Stimmung wird schon kurz nach dem Aufstehen getrübt. Es stürmt und regnet in Strömen. Aufgrund der schlechten Wetterlage entschließen wir uns zu einem Besuch im Pantani-Museum. Ein Muss für jeden Radsportfan. 3 kleine, detailgetreue und liebevoll eingerichtete Räume beschreiben die tragischen Lebensstationen des italienischen Volkshelden. Artikel aus der Gazetta dello Sport, Trikots der großen Rundfahrten, Portraits aber auch seine eigenen Gemälde zieren die Wände. Überall stehen Trophäen. In jedem Raum thronen mehrere seiner Räder auf denen er seine glorreichen Siege errungen hat. Auf kleinen Bildschirmen laufen die originalen TV-Berichte seiner heldenreichsten Siege: Col de la Croix de Fer, Les 2 Alpes, Madonna di Campiglio und natürlich der Rekord hinauf nach Alpe d´Huez. Eine besondere Atmosphäre liegt in der Luft. Wie ein Schwamm sauge ich sie in mich auf und fühle mich wie ein kleiner „Piratenjünger“.

Der Regen lässt nach. Nach einem kurzen Abstecher zum Pantani-Denkmal schlendern wir übers Messegelände. Zahlreiche Aussteller präsentieren ihre aktuellen Rennmaschinen sowie Bekleidung und Zubehör. Ass-Saver und Nove Colli-Regenjacken von Sportful sind die absoluten Verkaufsschlager. Auch ich kann gerade noch einen der heißbegehrten Ass-Saver ergattern. Am wunderschönen Hafen von Cesenatico genehmigen wir uns noch eine Pizza. Die Wolken verdichten sich wieder und wir fahren zum Hotel zurück, um die Räder fürs Rennen fit zu machen und um unsere Sachen zu richten. Als wir zum Abendessen gehen, öffnet der Himmel erneut seine Pforten und es regnet Wasserfälle. Unsere Stimmung ist auf dem absoluten Nullpunkt. Immer mehr finden wir uns mit dem Gedanken ab, daß für uns der Nove Colli 2015 im wahrsten Sinne des Wortes ins Wasser fällt. Völlig geknickt kriechen wir in unsere Betten und es bleibt die Frage: „Werden wir am nächsten Tag doch noch an den Start gehen?“  

24.05.2015 (Nove Colli):

Um 3:30 (!) reißt uns der Wecker unliebsam aus dem Schlaf. Chakka! Kein Regen! Die Freude hält allerdings nur sehr kurz. Kaum den Schlaf aus den Augen gerieben, spielen sich draußen dramatische Szenen ab. Es stürmt und der Regen peitscht durch die Straßen. Voller Frust entschließen wir uns, nach dem Frühstück wieder ins Bett und nicht an den Start zu gehen. Aufgrund der inneren Unruhe ist jedoch an Schlaf nicht zu denken. Wofür hab ich mich im Frühjahr gequält? Soll das alles für den A**** gewesen sein? Nein! Ich schlüpfe in meine Trainingsklamotten, um die Lage zu checken. Es nieselt nur noch leicht. Scheiß drauf! Und wenn´s am Ende nur die kleine 130er Runde wird, … Ab in die Radklamotten und schnell zum Start, um noch rechtzeitig in den Startblock zu kommen. Der Regen wird wieder stärker und lässt nicht mehr nach. Glücklicherweise können wir uns am Start unter einer Brücke unterstellen, um nicht völlig auszukühlen. Endlich! Nach einer gefühlten Ewigkeit (ca. 1 Stunde!) ertönt um 6:00 endlich der Startschuss. Es dauert jedoch noch ca. eine ½ Stunde bis auch ich über die Startlinie rolle. Nun geht es also auch für mich los: Nove Colli - L´inferno di acqua!

Die ersten 30 km geht es zunächst relativ flach durch die Vororte von Cesenatico in Richtung Hinterland. Der Himmel ist pechschwarz, die Wolken hängen tief und der Regen prasselt auf mich ein. Aber noch halten mich Ass-Saver, Regenjacke und Regenüberschuhe einigermaßen trocken. Ich entscheide mich dazu, mich im zügigen Tempo einzufahren, um mich auf Temperatur zu bringen. Die ersten beiden Hügel sind im Nu erklommen. Wider Erwarten läuft es eigentlich gar nicht so schlecht. Der Regen wird noch stärker, die Wolken dichter und die Temperaturen sinken. Keine Möglichkeit, den Blick über die Landschaft streifen zu lassen. Der Körper beginnt aufgrund der Kälte zu verkrampfen. Der Tritt läuft nicht mehr rund. Immer wieder rufe ich mir Bilder ins Gedächtnis, bei denen ich ähnliche Situationen gemeistert habe. Ich beginne vor mich herzuträllern, um mich bei Laune zu halten: „Notti magiche“ von Gianna Nannini. Der Triumph der Deutschen bei der WM 1990 in Italien.

Am Berg kann ich trotzdem noch Plätze gut machen, doch von meinem eigentlichen Leistungsniveau bin ich meilenweit entfernt. Wie soll ich in dem Zustand nur über den Barbotto kommen, der mit Steigungen von über 18% aufwartet? Nach ca. 80 km lässt der Regen nach. Endlich habe ich die Gelegenheit, den Blick über die traumhaft schöne Landschaft schweifen zu lassen. Im unteren Teil vom Barbotto läuft es recht gut. Fahr ich doch die 200er Runde? Kaum war der Gedanke zu Ende gedacht, verkrampft die Muskulatur stärker als noch ein paar Kilometer zuvor. Jede Pedalumdrehung wird zur Qual. Nein, Alex! 130 reichen auch! Voller Wehmut wähle ich am Abzweig die 130er Runde und quäle mich bei zunehmenden Gegenwind in Richtung Ziel. Als kurz vor Cesenatico der Regen erneut einsetzt, bin ich doch heilfroh, die kurze Strecke gewählt zu haben. Nach 4:58 h rolle ich mit schmerzverzogenem Gesicht über die Ziellinie.


Nove Colli 2015 … laut Veranstalter die regenreichste Ausgabe seit Bestehen.

Glücklicherweise war das Wetter am Tag nach dem Rennen besser, so daß wir die Gelegenheit hatten, die traumhaft schöne Region genießen zu dürfen, so daß ich für meinen Teil sagen kann: „Nove Colli … ich komme gerne wieder.“

 

Uwe fuhr ebenfalls die 130er Strecke und erreichte das Ziel in 6:10 h